Liebe Brieffreundinnen!
Ich
hatte Euch einen ersten Brief zum ersten Advent versprochen. Und das
habt Ihr jetzt davon! Hier ist er, etwas überladen, fragwürdig designed
und von Herzen dilettantisch. Ich sitze halb panisch, halb euphorisch
vor meinem neuen Newsletter-Tool und versuche, ohne alle dreißig
Sekunden den technischen Support anzurufen, eine schöne, bunte,
weihnachtliche Hauspost für Euch zu basteln.
(...an
dieser Stelle sollte ein Foto von mir im weihnachtlichen Kostüm
erscheinen. Das klappt aber leider noch nicht, und bei der Hotline
erreiche ich jetzt niemanden mehr...)
Ich
kann Euch gar nicht sagen, wie viel es mir bedeutet, dass dieser Brief
nun direkt von mir an Euch geschickt wird. Rein logistisch gesehen ist
es natürlich keine so große Sache, aber innwendig fühlt es sich für mich
wirklich an wie ein Aufbruch in eine selbstbestimmtere Zeit.
Nicht ganz freiwillig bin ich in Richtung dieser Selbstständigkeit
geschubst worden. Ich habe für das nächste Buch nach 25 Jahren meinen
Verlag gewechselt, und das hatte zur Folge, dass weder mein Newsletter
noch mein Podcast "Frauenstimmen" weiter von meinem alten Verlag
verschickt bzw. im Falle des Podcasts finanziell unterstützt werden
konnte.
Und so wurde ich plötzlich zur Unternehmerin!
Meinen Podcast produziere und finanziere ich jetzt selbst. Was für mich
bedeutet, dass ich auf den letzten Veranstaltungen, auf denen ich war,
immer auch mit halbem Auge auf der Suche nach möglichen Investoren war.
Ist das nicht irre? Ich werde noch eine richtige Netzwerkerin! Ich komme
mir sehr erwachsen vor. Coole Businesswoman eben. Mit
Anlaufschwierigkeiten :-)
Gestern bekam ich von einer Kosmetikmarke eine Anfrage, ob ich an einer
Kooperation interessiert wäre. In der Mail wurden einige mir völlig
fremde Vokabeln benutzt, so dass ich verschämt zurückfragen musste, was
genau gemeint sei und ob das jemand der älteren Mitarbeitenden nochmal
für mich von digitalem Profi-Werbe-Slang in das Deutsch übesetzen könne,
das ich vor 38 Jahren in meiner Deutsch-Abi-Klausur benutzt habe.
Ich habe noch nicht wieder von der Firma gehört.
Sollte also eine von Euch Chefin eines börsennotierten Unternehmens
sein, das noch nach einer Möglichkeit sucht, Millionen zu investieren,
um eine exklusive Zielgruppe zu erreichen: Hier bin ich! Zu allem
bereit. Zu fast allem. Ich kann leider nicht für alles Werbung machen.
Jüngst wurde mir angeboten, ein Produkt für dünner werdendes,
ausfallendes Haar zu bewerben. Das musste ich leider ablehnen. Ich habe
wirklich mannigfaltige Probleme, auch körperlicher Natur, aber meine
Haare wachsen wie Unkraut und im Grunde genommen bin ich froh um jedes,
dass mir ausfällt. Da muss man ehrlich bleiben, sonst verliert man seine
Glaubwürdigkeit! :-)
Ach, ich bemerke gerade so viele aufsehenerregende und auch winzige und
dennoch so besondere Veränderungen an mir. Mittlerweile halte ich einen
Spaziergang mit meinem Hund für Sport und das Zusammenlegen von Socken
für Meditation. Ich mache mir nicht mehr so einen Stress. Ständig denken
wir, wir müssten produktiv sein. Selbst beim Entspannen.
Ich lese gerade ein sehr interessantes Buch von Anna Katharina
Schaffner. Es heißt "Erschöpft", und darin schreibt sie: "Produktivität
und Effizienz sind in unserer Gesellschaft zu einem Fetisch geworden,
und zwar in einem solchen Ausmaß, dass diese Überbewertung dramatisch
nach hinten losgeht – sie macht eine immer größere Zahl von Menschen
krank." Ich werde Anna Katharina nächste Woche in meinem Podcast
empfangen und bin schon voller Vorfreude auf das Gespräch.
Warum sind viele von uns so erschöpft? Warum setzen wir uns selbst so
unter Druck? Warum denken wir im Dezember, es gäbe keinen Januar und
quetschen sämtliche Verabredungen in diesen armen, überforderten Monat?
Ich bemerke, dass meine Bereitschaft, Pausen zu machen zunimmt und meine
Bereitschaft, mich zu verausgaben bei dem Versuch, möglichst effektiv
zu sein, abnimmt. Meine Lust, das Haus mit Lichterketten,
Weihnachtssternen und funkelndem Tand zu überfüllen ist zum Beispiel
merklich geschrumpft. Früher war ich die erste in unserer Straße, die
Ende September hektisch den Balkon mit Lichterketten und die Fenster mit
Kunstschnee geschmückt hat. In diesem Jahr war ich froh, dass ich
gestern überhaupt noch einen Adventskranz bekommen habe.
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