Hallo meine lieben Freundinnen! |
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Diesen Brief schreibe ich Euch aus dem Himmel.
Genauer gesagt, aus ungefähr neun Kilometern über der Erde, Reihe 13, Gangplatz mit extra großer Beinfreiheit. Die Passagiere, die um mich herum sitzen, kennen mich schon. Ich habe noch vor dem Start versehentlich für Aufmerksamkeit gesorgt, als ich mir meine In-Ear-Kopfhörer in die Ohren steckte und meine Entspannungsmusik für heikle und unerfreuliche Lebenslagen aufdrehte. Die Klänge kamen mir zwar ein wenig leise vor, aber ich schloss die Augen, um mich dem vertrauten Rhythmus hinzugeben und damit meine panische Flugangst in Schach zu halten. |
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Nach einigen Sekunden legte mein Sitznachbar seine Hand auf meinen Arm. Ich öffnete widerwillig die Augen, denn ich schätze es nicht, wenn ich bei meinen Bemühungen, das Hier und Jetzt zu verdrängen, gestört und in die angsteinflößende Realität zurückgeholt werde. Ich blickte verdutzt in sehr viele Augenpaare. Alle Passagiere der vor mir liegenden Reihen hatten sich zu mir umgedreht, die meisten von ihnen schienen sich hervorragend zu amüsieren. Mein Nachbar deutete auf meine Kopfhörer. Ich nahm sie raus und wurde sofort von der dröhnend lauten Musik aus meinem Handy angesprungen.
„Bye bye Daddy Cool!“
Ein Mann in meinem Alter aus Reihe zwölf sang bereits mit und die Frau auf der anderen Seite des Ganges rief, es ginge doch nichts über die guten alten Hits. Ich schaltete die Musik aus, hinter mir sagte jemand „Schade! Ich liebe Boney M!“. Ich lachte laut über mich selbst, viele lachten mit und ich bemerkte, wie die Kabine, die mir eben noch feindlich und grau und erdrückend erschienen war, voller fremder, gestresster und auf sich selbst konzentrierter Menschen, zu einem heimeligeren Ort wurde, in dem man sich anlächelte und für einen kurzen Moment zu einer Gemeinschaft wurde.
Ich war allerdings ausgesprochen froh, dass meine beiden Söhne in der Reihe hinter mir von dem Vorfall nichts bemerkt hatten. Sie waren selbstverständlich längst in die Tiefen ihrer Tablets abgetaucht und von der Außenwelt völlig isoliert. Gut so. Als Mutter von Teenagern steht man ja unter gnadenloser Beobachtung, kann im Grunde genommen nichts richtig machen, dafür aber sehr viel falsch, und peinlich ist man sowieso. Nicht auszudenken, was für ein Trauma mein beschämendes Fehlverhalten in diesen sensiblen, heranwachsenden Seelchen ausgelöst hätte!
Ich kann nicht behaupten, dass ich gerne hier oben bin - im Moment fliegen wir auch noch durch einige Turbulenzen, aber meine Angst hat nicht die Oberhand. Ich halte sie schreibend, reflektierend, konzentriert im Griff und bin zumindest jetzt gerade die Chefin meiner Gefühle, die Herrin im eigenen Haus.
Für mich ist das eine große Sache. Denn meine Flugangst begleitet mich seit Jahrzehnten – natürlich meistens nicht in die Luft, denn ich war eine überzeugte Vermeiderin. Nun werde ich mehr und mehr zu einer überzeugten Trotzdem-Macherin. Ich denke oft an das, was die Psychologin France Cerutti in meinem Podcast „Frauenstimmen“ gesagt hat: „Angst ist gierig und greift sich immer mehr von deinem Leben, wenn du sie lässt. Vermeidung ist nie eine Lösung. Die Bereitschaft, auch unangenehme Gefühle in Kauf zu nehmen und willkommen zu heißen, ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten, ausgeglichenen Leben. Mutig wirst du, indem du dir Dinge zumutest! Tu es trotzdem!“
Trotzdem. Das hat viel mit Selbstverantwortung zu tun. Mein ganzes Leben hat im Moment viel mit Verantwortung zu tun. In einigen Bereichen, nein, in allen Bereichen habe ich Lust, mehr Verantwortung zu übernehmen. Für mich, für meine Entscheidungen, für meine Arbeit, meine Handlungen, für mein Geld und für meine Gefühle. Mein älterer Sohn ist vor einem Monat achtzehn geworden, mein jüngerer hält sich mit vierzehn sowieso schon für erwachsen. |
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Es werden immer mehr Verantwortungs-Räume frei, es werden Zeit-Räume frei, es werden Gedanken-Räume frei. Und ein Kinderzimmer ist auch frei geworden, in dem ich jetzt meinen Podcast aufzeichne und das ehemalige Jugendbett zum Daybed ernannt habe, auf dem ich ab und zu ein herrliches Mittagsschläfchen mache.
Ich werde erwachsen.
So fühlt sich das also an.
Besser spät als nie.
Ich verspüre eine ungeheure Sehnsucht nach Freiheit und Geborgenheit, nach Aufbruch und Rückzug, nach Neuem und Vertrautem.
Und vor allem eben: nach Verantwortung.
Ich war immer ganz groß darin, anderen die Schuld zuzuschieben oder die Verantwortung zu übergeben. Mein Lebensweg ist gepflastert mit angeblichen Schuldigen: Das sind allen voran die Angst, dann natürlich meine Eltern, der Stoffwechsel, der Autofahrer vor mir, der Ehemann, die Erdanziehung, die Lehrerin, der Wind oder die Flaute.
Aber ich bin es allmählich leid, mich hinter anderen zu verstecken und mich selbst zu Unselbstständigkeit und Kleinmut zu verdonnern.
Und ich habe, getragen von dieser Aufbruchsstimmung, bereits einige Veränderungen in die Wege geleitet. Euch mögen sie klein erscheinen – für mich sind sie mutige, erste Schritte in eine neue Richtung.
Nach 25 Jahren bei Rowohlt wird mein nächstes Sachbuch in einem anderen Verlag erscheinen. Ich folge meinem Gefühl und meiner Lektorin Ricarda zu Ullstein nach Berlin. Das ist mir schwer gefallen und fühlt sich dennoch richtig an. Daraus ergeben sich weitere Veränderungen. Ich überlege, meinen Podcast „Frauenstimmen“ in Zukunft ganz ohne produzierenden Verlag zu machen, also selbstverantwortlich zu sein für das, was ich damit verdiene oder eben auch nicht verdiene. Und auch dieser Newsletter wird das gemütliche und wunderbare Rowohlt-Nest demnächst verlassen und in Zukunft direkt von mir an Euch geschickt werden. Das ist ein ziemlicher technischer Aufwand, und in etwa einem Monat werde ich Euch bitten müssen, Euch noch einmal ganz neu anzumelden. In der Newsletter-Branche heißt es, bei solchen „Umzügen“ würde man in der Regel die Hälfte aller Leserinnen verlieren. Aber was weiß die Branche schon von meinen Leserinnen! Ich vertraue da ganz auf unsere gute und kostbare Verbindung und bin sicher, Ihr werdet mich bei meiner Selbstständigwerdung begleiten.
+++ Wenn ihr Lust habt, könnt ihr euch hier auf meiner Website bereits für meinen neuen Verteiler anmelden.+++
Ich komme mir schon vor wie eine waschechte Unternehmerin – und als ich neulich auf einer Party von der Zeitschrift „Brigitte“ eingeladen war, bin ich zum ersten Mal mit dem erklärten Ziel dorthin gegangen, um Kontakte zu knüpfen. Und das habe ich! Vielleicht habe ich sogar die ein oder andere Werbekundin für meinen Podcast interessieren können. Ich kam mir toll vor. Eine Frau von Welt. Bis ich die Fotos des Abends sah. Ich hatte Lippenstift an den Zähnen. Aber nicht zu knapp.😅
Und jetzt befinden wir uns schon im Landeanflug und ich habe keine einzige Sekunde Angst gehabt. Vor mir liegt eine Woche Sonne tanken, schwimmen, lesen und All-you-can-eat. Und in der Disziplin macht mir so leicht keiner was vor.
Ich grüße Euch herzlich aus der Luft!
Eure |
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PS: Nachtrag, eine Woche später, fast schon wieder im Landeanflug auf Hamburg. Die ersten Minuten in diesem Flugzeug waren leider so schrecklich, dass meine ganze Urlaubserholung dahin ist. Herzrasen, Schweißausbrüche, die Angst, gleich durchzudrehen, und der innerliche, stumme, aber gellende Schrei: Ich will hier raus!
Angst ist wie Gift von innen.
Ich bin sehr enttäuscht, dass der Rückflug nicht so reibungslos verlaufen ist wie der Hinflug. Und ich weiß doch, zumindest sagt mir das mein Kopf, dass es genau darum geht: Angst aushalten. Die eigenen Grenzen sprengen. Freiheiten zurückerobern. Jeden Tag ein bisschen mehr. TU ES TROTZDEM!!!
Die amerikanische Bestsellerautorin Glennon Doyle sagt und schreibt es immer und immer wieder:
„We can do hard things!“
Ja, das können wir.
Wir schaffen auch das.
Ich bin gelandet
Wir sind eben doch ein paar alte Granaten.
In diesem Sinne noch einmal von Herzen:
Eure |
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